Seit Jahrtausenden betreiben Menschen Tauschhandel, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Doch mit wachsendem Wohlstand und dem Preisverfall von Haushaltsgeräten, Garten- und Heimwerkzeugen zerfielen gemeinschaftliche Nutzungsformen. Billige Produkte und mehr Einkommen haben den Luxus des Besitzens ermöglicht, häufig zu dem Preis, dass ein minderwertiges Produkt angeschafft wurde, mit hohem Energieverbrauch und kurzer Lebensdauer. Reparieren lohnt sich bei Ramsch nicht.
Heute ist es selbstverständlich, dass für zehn nebeneinanderliegende Reihenhausgärten ebenso viele Rasenmäher, Freischneider und Heckenscheren vorhanden sind. Jeder besitzt sein eigenes Gerät,
statt eine gemeinsame Nutzung mit den Nachbarn zu vereinbaren. Lässt sich diese Entwicklung umkehren? Oder kann im Zuge eines kulturellen Wandels die Gemeinschaftswaschmaschine ein Comeback
erfahren? Möglicherweise, wenn sich das Lebensumfeld ändert. Vorstellbar ist, dass Wohnungsgesellschaften wieder stärker Waschräume mit hochwertigen Maschinen bereitstellen. Die
Überzeugungsarbeit dafür könnte die WF4.0 leisten, ebenso wie für Initiativen, die Bohrmaschinen, Handkreissägen und Akkuschrauber stadtteilorientiert und günstig verleihen.
Tauschen im Ring
Gute Beispiele gibt es zur Genüge, etwa Tauschringe für Produkte und Dienstleistungen. Ein Computer kann Hobby oder Ärgernis sein, je nach Talent und Interesse. Wenn Lust und Wille für die
Fehlerbehebung fehlen, aber zugleich eine Leidenschaft fürs Gärtnern besteht, ist die gegenseitige Hilfe naheliegend. Tauschringe bieten den Vorteil, dass man nicht nur auf seinen eigenen
Bekanntenkreis angewiesen ist. Vielmehr zählen die gesamten Mitglieder eines Tauschrings zum "Dienstleistungspool". Der Name des Tauschrings in Dresden formuliert das Motto: "Ohne Moos geht’s
los".
Beim Tauschring können nicht nur Dienstleistungen, sondern auch Gegenstände getauscht werden. In Kellern, Schuppen, Abstellkammern und auf Dachböden liegen die Ausscheidungen der
Konsumgesellschaft. Je Haushalt haben sie einen durchschnittlichen Wert von mehr als 1.000 Euro, ergab eine Studie aus dem Jahr 2008. Insgesamt waren das 35 Milliarden Euro. Mittlerweile dürfte
die Summe noch höher sein.
Aufräumen und entrümpeln heißt meistens wegwerfen. Wer braucht noch den alten Schlitten, wem könnte man die kaum getragenen Sportschuhe geben? Die nur einmal benutzte Bettwäsche mag in den Augen des Partners ein Fehlkauf gewesen sein. Für andere ist sie womöglich schön oder "lässig". Jeder Tausch, der dazu führt, dass ein Produkt weiter genutzt wird, statt im Müll zu enden, ist ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen kostet Zeit und bringt häufig keinen finanziellen Gewinn. Gleichwohl wird der Schenkende belohnt durch die Freude des Beschenkten.
Eine überregionale Ergänzung von Tauschringen war bis vor Kurzem die Internetseite www.netcycler.de. In der Hochzeit waren dort mehr als 110.000 Nutzer registriert. Eine spezielle Software machte
es möglich, mehrere Angebote miteinander zu kombinieren. Wer einen Toaster anzubieten hatte, musste also nicht warten, bis sich ein Tauschpartner findet, der beispielsweise die gewünschte
Bohrmaschine wechseln möchte. In dem Tauschring konnten bis zu fünf Nutzer handeln. Dadurch potenzierte sich die Wahrscheinlichkeit für einen guten Tausch. Leider haben die Anbieter ihre
Geschäftsinteressen verlagert. Zu spärlich waren wohl die Gewinnaussichten. Eine Stiftung oder Genossenschaft könnte das Angebot weiterführen. Treiber und Träger dieser Initiative könnte eine Art
Dachverband der Wirtschaftsförderung 4.0 sein.
Wohngemeinschaften
Joachim Löw hat den Gemeinschaftssinn seiner Elf bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien durch eine ganz einfache Maßnahme befördert. Der Bundestrainer teilte die Mannschaft in
Wohngemeinschaften auf, die ihr Zusammenleben selbst organisieren. Löw erkannte, dass der soziale Zusammenhalt in der Mannschaft ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Allein mit guten Einzelspielern
gewinnt heutzutage keine Mannschaft den Titel. Vertrauen, Verlässlichkeit, Sorge, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft gedeihen vor allem in gemeinschaftlichen Lebenszusammenhängen.
Ein Beispiel sind Wohngemeinschaften. In Deutschland sind sie seit der 68er-Bewegung etabliert. Fast ein Drittel aller Uni-Studierenden teilt sich inzwischen Dusche und Küchentisch, 1997 waren es
erst 20 Prozent. Ein Grund – neben stark gestiegenen Mieten – ist womöglich, dass die niedrige Geburtenrate letztlich auch kleinere Familien und familiäre Netzwerke mit sich bringt. Die
Wirtschaftsförderung 4.0 möchte Wohngemeinschaften auch für Singles und Ältere attraktiv machen.
Einen besonderen Weg geht Südkoreas Hauptstadt Seoul. Sie nennt sich "Sharing City" und möchte durch das Teilen und Tauschen menschlicher und nachhaltiger werden. Wohngemeinschaften werden von
der Verwaltung initiiert – auch um gegen die hohe Selbstmordrate unter Jugendlichen anzugehen. Im Rahmen des Projekts "Woo-Zoo" renoviert die Stadt alte Häuser und lässt Wohngemeinschaften dort
einziehen. Das Motto lautet: "Happy Together". Studenten haben so erstmals die Gelegenheit, außerhalb von Wohnheimen zu leben. Das ermöglicht nicht nur günstiges Wohnen. Es wirkt auch der
Einsamkeit entgegen, die als wichtigster Grund für die Suizide angesehen wird. Jedes Wohnprojekt hat ein Leitthema, damit die Interessenten wissen, was auf sie zukommt, beispielsweise Spaß am
Kochen, Filme sehen, eine Firma gründen. Es treffen sich unterschiedliche Menschen mit ähnlichen Lebensvorstellungen und vergleichbaren Zielen. Sie teilen nicht nur den Wohnraum, sondern auch
ihren Alltag, diskutieren verschiedene Probleme und kooperieren miteinander.
Auch Witwen und Witwer hat Seouls Stadtverwaltung angeschrieben und ihnen vorgeschlagen, Studenten bei sich wohnen zu lassen. Eine ähnliche Kampagne namens "Wohnen für Hilfe" gibt es auch in
Deutschland. Solche und andere Co-Housing-Projekte ermöglichen Sorgeleistungen, die über die öffentliche Pflegefinanzierung nicht bezahlbar wären. Man stelle sich nur vor, alle Wikipedia-Autoren
erzielten ein angemessenes Honorar. Die Plattform würde wohl unerschwinglich.
Digitalisierung als Motor
Das Internet macht Teilen und Tauschen noch einfacher. Angebote und Anfragen erreichen in sekündlicher Aktualisierung die Interessierten. Verbunden mit Standortangaben lässt sich mit wenigen
Klicks ermitteln, wer in der Nähe ein Skateboard verkauft oder verleiht. Nutzende und Anbietende können leicht miteinander in Kontakt treten. Je erfolgreicher die Suche verläuft, desto häufiger
werden sie erneut den Dienst nutzen und ihrerseits etwas anbieten.
Ein weiterer Vorzug des Internets: Die Mitwirkenden hinterlassen eine "Reputationsspur". Ebay war auch deshalb so erfolgreich, weil das Bewertungssystem Vertrauen schafft. Viele gut verlaufene
Transaktionen mit positiver Bewertung erhöhen die weiteren Verkaufsaussichten. Im Ergebnis fassen einander unbekannte Geschäftspartner Vertrauen. Beim Leihen und Tauschen ist das ähnlich. Man
verleiht sein Zweitrad eher, wenn klar ist, dass der Interessent vertrauenswürdig ist.
Pumpipumpe
Ganz einfach geht das mit dem Schweizer Konzept "Pumpipumpe", einem Sharing-Projekt, das das Verleihen von Geräten an Nachbarn erleichtert, auch ohne Internet. Gewiss, Webplattformen haben dem
Teilen und Tauschen zu neuer Popularität verholfen. Doch auch mit herkömmlichen Methoden lassen sich ganz überraschende Resultate erzielen. "Pumpipumpe" setzt Piktogramme ein. Kleine Aufkleber
auf dem Briefkasten teilen den Nachbarn mit, welche Dinge man verleihen würde. Das typische Beispiel für gegenseitiges Leihen ist die Bohrmaschine sowie diverse Werkzeuge. Tatsächlich werden
solche Geräte manchmal nur einige Minuten im Jahr genutzt. Das gilt auch für zahlreiche andere Gegenstände des Alltags: Zelte, Isomatten, Spiele, Inlineskater, Schlittschuhe, Waffeleisen, Wok,
Getreidemühle. All diese Dinge spenden nur Freude, wenn sie genutzt werden. Der Besitz verschafft ohnehin nur kurzfristig Vergnügen.
Besonders in Mehrfamilienhäusern funktioniert das ganz hervorragend. Beispielsweise finden sich in den Hofbauten Berlins leicht ein Dutzend Briefkästen nebeneinander. Profitieren können etwa
junge Haushalte. Sie haben sich noch nicht so viel angeschafft und verfügen über ein vergleichsweise geringes Einkommen. Ungern möchte man von Tür zu Tür gehen und zum Beispiel nach einem
Racletteofen fragen. Die Aufkleber helfen, diese Hemmschwelle zu überwinden und bringen die verfügbaren Dinge in den Überblick. Die Anwohner trauen sich eher zu fragen, weil der potenzielle
Verleiher seine Bereitschaft bereits signalisiert hat.
Gerade die unmittelbare Nähe der Nachbarschaft ist ein maßgeblicher Vorzug von "Pumpipumpe". Ein weiterer Vorteil ist der Preis. Bohrhammer oder Stichsäge lassen sich zwar oft auch im Baumarkt
ausleihen, doch die Geschäfte befinden sich meist nicht um die Ecke. So wird das Leihen umständlich, Fahrtkosten können entstehen. Ganz billig sind die Angebote der Baumärkte auch nicht.
Schließlich handelt es sich um Profigeräte, es fallen Kosten für Personal und Versicherung an und ein Gewinn soll bei einem kommerziellen Verleiher auch noch herausspringen.
Die "Pumpipumpe"-Erfinder aus der Schweiz bieten 50 handgestaltete Piktogramme als Set im Versand an. Der Preis liegt bei sieben Euro pro Bestellung. Was zunächst als kleines Designprojekt in Bern seinen Anfang nahm, findet nun weithin Beachtung. Mehr als 20.000 Sets haben Interessenten bereits geordert, unter anderem aus Deutschland, Frankreich, Russland, Japan und Brasilien. Spenden und Sponsoren finanzieren das Angebot.
Doch wer gibt den Impuls dazu? Interessierte Bürger:innen und – warum nicht? – die Wirtschaftsförderung 4.0. Schulen oder einzelne Schulklassen könnten dafür gewonnen werden, die Bewohner in der
Nachbarschaft auf die Aktion hinzuweisen. Im Rahmen einer Projektwoche beispielsweise gehen Schüler:innen von Tür zu Tür und fragen direkt, welche Geräte verliehen werden können. So gewöhnen sich
die Bürgerinnen und Bürger schrittweise an das neue Miteinander. Teilen wird zur Routine, gefördert von der Stadt. Als Vorbild kann Seoul dienen. Dort wird die Kultur des Teilens bereits
öffentlich gefördert. Entsprechende Initiativen und Startups erhalten finanzielle Unterstützung.
Hip oder Hype?
Bei aller Euphorie gibt es auch jetzt schon Niederlagen. Die 2012 gestartete Smartphone-App "Why own it" scheiterte, weil die Nachfrage zu gering war – trotz fantastischer Resonanz in den Medien.
Die meisten Nutzer wollten nur etwas ausleihen, die Zahl der Anbieter blieb dagegen gering. Nach drei Jahren stellten die Hamburger Entwickler ihre App wieder ein.
Die 2013 gegründete Plattform www.fairleihen.de aus Berlin ist zwar noch aktiv, das Angebot gleichwohl überschaubar.
Geprägt hat den Begriff der "Sharing Economy" der Harvard-Ökonom Martin Weitzman. Bereits in den 1980er Jahren vertrat er in seinem gleichnamigen Buch die Auffassung, dass sich der Wohlstand für
alle erhöht, je mehr die Marktteilnehmer miteinander teilen. Mitte der 1990er formulierte das Wuppertal Institut in der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" das Motto "Nutzen statt Besitzen". Es
wird bis heute regelmäßig zitiert. Noch grundsätzlicher argumentierte einige Jahre später Jeremy Rifkin, als er vom "Verschwinden des Eigentums" sprach. Durch die Digitalisierung, so Rifkin, wird
Besitz künftig weniger bedeutsam sein als Zugang und Teilhabe. Ein sichtbarer Wandel hin zu einer Sharing Economy, die den Namen verdient hätte, ist auch nach 40 Jahren Debatte noch nicht
erkennbar.
Wer nach der Wende beispielsweise in Magdeburg die gemeinsame Nutzung von Wachmaschinen anpries, wurde nicht selten mit dem Hinweis ausgelacht, das habe man doch jetzt die letzten 40 Jahre gehabt
und sei froh, dass es vorbei ist. So ist die eigene Waschmaschine ein Sinnbild der Individualisierung. Selbst in kleinste Badezimmer oder Küchen werden heute Wachmaschinen gestopft. Trockenböden
und Waschräume haben die Planer zu Wohnungen umgebaut. Jahrzehnt für Jahrzehnt gingen Gemeinschaftsnutzungen zurück. Die Fehlentwicklung wurde sogar noch als Wohlstandsgewinn empfunden.
Wird es diesmal anders kommen? Die Erfolge beim CarSharing, von AirBnB und Uber haben dem Sharing zu einer neuen Popularität verholfen. Allerdings handelt es sich hier um kommerzielle
Geschäftsmodelle, die aus dem Teilen und Tauschen renditeorientierte Unternehmungen machen. Nachhaltigkeit und Partizipation sind in dieser Variante der Sharing Economy allenfalls
Nebenerscheinungen, nicht die Hauptsache.
Dass es auch anders geht, betonen zahlreiche neue Buchveröffentlichungen. Rifkin wirbt für ein gemeinwohlorientiertes Wirtschaftsmodell. Viel Beachtung fanden Botsman und Rogers mit ihrem Buch
"What’s Mine is Yours". Die heutige Jugend ist mit den sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram groß geworden. Für sie ist das Teilen von Videos, Bilder oder Kontakten selbstverständlich.
Gut möglich, dass die webaffinen Generationen ein entscheidender Faktor für die Entwicklung einer echten Sharing Economy sind.
Es wird sich zeigen, ob das Teilen und Tauschen im großen Stil, auch bei relativ günstigen Produkten, ins Laufen kommt. Es spricht viel dafür, mit der Wirtschaftsförderung 4.0 das Tauschkonzept
zu fördern. Hier kann mit kleinen Förderbeträgen für Werbeaktionen, Anschubfinanzierungen für Gründungsprojekte, Netzwerkarbeit oder die Bereitstellung von Räumlichkeiten viel bewirkt werden.
Manchmal bremsen sich verschiedene Anbieter gegenseitig aus, insbesondere wenn sie sich auf die gleiche Region beziehen. Die Wirtschaftsförderung 4.0 kann die Gründung einer gemeinsamen Plattform
anregen.
Die Tauschwirtschaft optimiert die Nutzungsdauer von Produkten, spart Geld, stärkt die Gemeinschaft und die Widerstandskraft der regionalen Ökonomie. Zudem können sich die Teilnehmenden von
Tauschringen darüber freuen, sich Dinge leisten zu können, für die das Geld nicht reichen würde.